Warum wir Aufgaben vor uns herschieben – und was wir dagegen tun können
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Warum wir Aufgaben vor uns herschieben – und was wir dagegen tun können

Absichtliches Verzögern des Beginns oder der Vollendung einer Aufgabe bis zu dem Punkt, an dem man sich unwohl zu fühlen beginnt: Dieses im Englischen mit dem Begriff «Procrastination» umschriebene Verhalten zeigen in chronischem Ausmass rund 20 Prozent der erwachsenen Männer und Frauen. Was steckt dahinter, und wie kann man es verändern?

Wissenschaftliche Untersuchungen von chronischem Aufschieben in den letzten 20 Jahren haben gezeigt, dass es sich dabei um eine angelerntes Verhalten handelt. Wenn die Betroffenen verstehen, warum sie ihre Aufgaben immer wieder verzögern, können sie neue, produktivere Strategien entwickeln, mit Aufgaben umzugehen.

Verschiedene Typen von «Aufschiebern»

Joseph Ferrari, ein amerikanischer Psychologie-Professor, der einen grossen Teil seiner Forschungstätigkeit seit Jahrzehnten dem Thema «Prokrastination» widmet, beschreibt vier verschiedene Typen von «Aufschiebern».

Sensationssuchende

Diese Gruppe von «Aufschiebern» behaupten, unter Druck besser arbeiten zu können. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass dieser Typ von Menschen schnell gelangweilt ist und den Adrenalinschub beim Vollenden eines Jobs erst zum Zeitpunkt der «Deadline» geniesst. Die Untersuchungen zeigen aber auch, dass diese Gruppe von «Aufschiebern» entgegen ihrem Glauben, in letzter Minute besonders produktiv zu sein, in Realität mehr Fehler machen und häufig nicht alle Komponenten einer Aufgabe sorgfältig erledigen.

Unentschiedene

Diese Typen von Zauderern verzögern eine Entscheidung, bis jemand anders für sie eine Wahl getroffen hat. Zum Beispiel möchten sie gerne Tickets für ein Konzert kaufen, können sich aber nicht entscheiden, für welchen Abend. Sie warten so lange, bis keine Plätze mehr verfügbar sind. Studien zeigen, dass Unentschiedene häufig in Situationen aufgewachsen sind, welche es ihnen nicht erlaubt haben, gute Entscheidungsfähigkeiten zu erlernen.

Selbst-Saboteure

Diese «Aufschieber» legen sich selbst absichtlich Steine in den Weg, um die erfolgreiche Erfüllung einer Aufgabe zu verhindern. Auf diese Weise können sie externe, ausserhalb ihres Einflusses liegende Faktoren verantwortlich machen – zum Beispiel keine Zeit gehabt zu haben –, um Angst und Selbstzweifel zu verdecken, welche diesem Verhalten zugrunde liegen. Viele dieser Selbst-Saboteure haben eine unterentwickelte Selbstkontrolle. Sie sind nicht fähig, ihre momentanen Bedürfnisse zurückzustellen und sich auf die Aufgabe zu fokussieren, die sie erledigen sollten. Sie möchten sich lieber im Moment gut fühlen, als sich später für einen gut erledigten Job zu belohnen.

Perfektionisten

Perfektionistische «Aufschieber» stellen unerreichbar hohe Anforderungen an sich selbst. Sie verzögern den Beginn oder die Vollendung einer Aufgabe, weil das erwartete perfekte Resultat nicht möglich ist. Diese Gruppe von Zauderern hat den starken Wunsch, von anderen gemocht zu werden und zu zeigen, wie hart sie arbeiten. Oft rechtfertigen sie ihr Aufschieben mit dem Argument, sie würden dafür bessere Qualität liefern – was üblicherweise nicht der Fall ist.

Wege, um mit dem Aufschieben aufzuhören

Egal um welchen Typ von «Aufschieber» es sich handelt: Da es sich um erlerntes Verhalten handelt, stehen die Chancen gut, dieses wieder zu «verlernen» – bezugsweise sich ein anderes Verhalten anzueignen. Wie wir aus der Neurobiologie wissen, ist das Hirn ein Leben lang «plastisch», das heisst, in der Lage, neues Verhalten durch wiederholte Anwendung zu erlernen.

Der Weg dazu besteht grundsätzlich darin, besser organisiert zu werden. Professionelle Arbeitstechniken – wie zum Beispiel die in den USA sehr bekannte und aus meiner persönlichen Erfahrung sehr empfehlenswerte Methode «Getting Things Done» (GTD) von David Allen – helfen dabei, Unordnung zu reduzieren, Ablenkungen zu minimieren und den Kopf freizubekommen, um mit einer Aufgabe produktiv umzugehen – von Beginn bis zum Schluss.

Unterstützend kann dabei eine gute Selbstwahrnehmung sein, die hilft, den Verlauf der persönlichen Energie, welcher über den Tag sehr individuell ist, besser kennenzulernen. Schwierige und wichtige Aufgaben sollten zum Beispiel dann angepackt werden, wenn wir ausgeruht und entspannt sind (sogenannte «Prime Time»). Die Kenntnis der eigenen Stärken ist eine weitere Möglichkeit, besonders produktiv und energetisch kompetent mit Aufgaben umzugehen.

Auf dem Weg zu einem produktiven und befriedigenden Umgang mit Aufgaben können dabei andere Menschen sehr hilfreich sein: Familie und Freunde, die einen unterstützen, Arbeitskolleginnen und -kollegen, welche an einem Projekt mitarbeiten und helfen, erreichbare Ziele zu setzen und diese Schritt für Schritt zu erreichen. Oder ein professioneller Coach, mit welchem eine neue Organisation des Arbeitsplatzes geschaffen und ein effizienter Prozess, mit Aufgaben umzugehen, erlernt werden kann.

Aufschieben ist mehr als bloss ein suboptimales Zeitmanagement: Es ist eine unwirksame Bewältigungsstrategie, mit den Herausforderungen des alltäglichen Lebens umzugehen. Indem Sie sich auf die positiven, erfreulichen Aspekte Ihres Lebens fokussieren und heute mit dem ersten Schritt beginnen, ihre Aufgaben besser zu organisieren und ihre Selbstwahrnehmung zu verbessern, können sie weniger gestresst und produktiver leben.

 


Autor:

Stefan Brülhart lic. phil. Psychologe FSP, berät und coacht Unternehmen, Fach- und Führungskräfte sowie Privatpersonen, damit diese auf ihren Stärken aufbauend Produktivität und Lebensqualität optimieren können.

 

 


 

Literaturhinweise

 

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